RP: „Krisentourismus“ in der A1-Brücke

"Der Stahl ist an seinem Lebensende angekommen": Hans-Dieter Jungmann präsentierte den Besuchern - stellvertretend für die vielen defekten Stellen des Bauwerks - ein Stück Brücke, in dem sich ein fast fingerdicker Riss gebildet hatte.

Neun Gäste durften nun einen Blick ins Innere der maroden Rheinbrücke werfen. Vertreter des Landesbetriebs Straßen.NRW präsentierten ihnen aus erster Hand die Schäden am Bauwerk und erläuterten die Gründe dafür. Von Gabi Knops-Feiler

Viele tausend Menschen überqueren täglich in ihren Fahrzeugen die Rheinbrücke der Autobahn 1. Doch nur wenige hatten dagegen bislang Gelegenheit, auch in das Innere des defekten Bauwerks blicken zu können. Diese Chance bekamen jetzt acht Erwachsene und ein sechsjähriger Junge – der jüngste aller bisherigen Besucher –, die bei einem Preisrätsel des Landesbetriebs Straßen.NRW gewonnen hatten.

„Die Brücke könnte mir eigentlich egal sein, denn ich bin Fußgänger, Bus- und Bahnfahrer“, sagte Lothar Müller (56) vor der Besichtigung. „Aber“, ergänzte der Metall- und Maschinenbauer aus Rheinland-Pfalz, „ich interessiere mich dennoch dafür.“ Weil er jeden Tag von Burscheid bis Dormagen über die Brücke fährt, wollte Ingenieur Sämer Cetinkaya (39) sie nun auch mal „von unten betrachten.“ Aus Bergisch Gladbach war Wolfgang Ditscheid (47) mit Sohn Jakob gekommen, weil er „neugierig auf Konstruktion und Schäden“ war.

Eingangs erläuterte Projektleiter Thomas Raithel Details und sagte, man hoffe, 2017 mit dem Neubau beginnen zu können. Ehe Hans-Dieter Jungmann von der Bauüberwachung bei Straßen.NRW die eigentliche Führung startete, erklärte er den Zuhörern, dass die 1965 eingeweihte und meistbefahrene Brücke Europas wegen diverser Faktoren, aber auch wegen Pfusch am Bau ersetzt werden müsse. Um Geld zu sparen, habe man seinerzeit viel zu dünne Stahlplatten verwendet. Und im Jahr 2011 erstaunt festgestellt, dass „der Stahl an seinem Lebensende angekommen ist.“

Über Treppen und Leitern gelangten die Besucher schließlich ins Zentrum der Brücke, wo die meisten über die geringe Geräuschkulisse staunten. „Das liegt daran, dass ausschließlich Pkw über uns hinweg fahren“, erläuterte Jungmann. An den hellen Stellen, sagte er und wies auf unzählige Schweißstellen an Haupt- und Querträgern hin, seien die Risse schon saniert worden. Er erklärte, man habe so genannte Dehnmessstreifen installiert, um genaue Belastungen ermitteln und Brückenprüfungen auslösen zu können. Die Besucher kletterten in das Rückgrat der Brücke und auf einen Brückenpfeiler, der den Blick unter die Brücke und auf den Rhein ermöglichte, aber nur gebaut wurde, damit die Brücke nicht abhebt und in dem Windlager das Aufschaukeln verhindert.
„Die Schäden sind schlimmer, als ich befürchtet habe“, stellte Lothar Müller nach nahezu zweistündigem Rundgang fest. „Es ist sicher nicht leicht, die vielen kleine Risse sofort zu sehen“, staunte Sämer Cetinkaya. „Ich bin beeindruckt und verstehe jetzt besser, woran es liegt“, urteilte Wolfgang Ditscheid. Er war mit seinem Sohn Jakob gekommen, dem das Klettern in der Brücke besonders gut gefiel und der heute im Kindergarten sehr viel zu erzählen haben dürfte.

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